Des Teufels Erbsmus
von dorastochter
Sie können dieses Märchen hier nachlesen.
Wie bin ich nur zu diesem Märchen gekommen?
Es gibt Märchen, in die verliebe ich mich vom Fleck weg. Dieses gehört eindeutig nicht dazu. Im Gegenteil: Ich fand es immer etwas befremdend, wenn ich beim Blättern in meinen Märchenbüchern wieder einmal bei ihm hängen blieb. Doch es begab sich, dass anlässlich des Märchenfests 2015, eine Reihe mit Schweizer Märchen lanciert wurde. Der Schweizer Märchenschatz ist sehr umfangreich, doch nur wenig bekannt - und so sollten Schweizer Märchen aus verschiedenen Gegenden und in verschiedenen Dialekten erzählt werden. Und zumindest eines der mitgebrachten Märchen sollte aus dem eigenen Heimatkanton stammen. Ich habe mich über die Anfrage sehr gefreut und auch rasch einen Titel für meinen Beitrag gefunden: "Schwiizer Schelmegschichte".
Mein "Mitbringsel" aus dem Aargau
Jetzt war ich also auf der Suche nach einem Aargauer Märchen, das auch meinem Veranstaltungstitel gerecht wurde. Und schliesslich, als der Tag kam, an dem ich bekannt geben sollte, welches Märchen ich nun aus dem Aargau mitbringen werde, entschied ich mich einfach für eines - und das war dann eben doch "s'Tüüfels Erbsmuess". Seine mythologische Tiefe, seine faszinierende Magie erschloss sich mir erst, als ich mit ihm zu arbeiten begann. Es war in etwa das Gefühl, in einen eher seicht dahin ziehenden Fluss zu steigen, um - völlig unerwartet - von einer reissenden Strömung erfasst und mitgerissen zu werden. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Einzigartig
Bis heute ist es das einzige Märchen, von dem ich das Gefühl habe, dass es mich ausgesucht hat und nicht umgekehrt. Bei keinem anderen Märchen brauche ich eine solch hohe innere Spannung aufzubringen, um ihm während des Erzählens gerecht zu werden. Und kein anderes Märchen erzähle ich mehr oder weniger Wort für Wort so, wie es aufgeschrieben wurde (in der Fassung von Ernst Ludwig Rochholz, Schweizersagen aus dem Aargau, Aarau 1856). Es ist tatsächlich das Schweizerdeutsch, das ich noch von meinen Ahnen her kenne, von meinen Grosseltern, Grosstanten und Grossonkeln.
Mythologie
Was sich uns hier oberflächlich betrachtet als flotter Schwank präsentiert, zeigt sich bei genauerer Untersuchung als eine Geschichte, die von einer konkreten mythologischen Figur erzählt - wenn denn auch in stark transformierter Form. Wie es dazu gekommen ist, lässt sich nicht mehr genau nachvollziehen, was wir aber deutlich erkennen können ist, dass die beiden Widersacher - Teufel und Schmied - beide auf den nordischen Gott Thor zurückgehen, welcher in germanischen Gebieten auch Donar genannt wurde. In unserem Sprachschatz ist Donar noch im Wochentag "Donnerstag" enthalten. Und ihm zu Ehren wurden donnerstags bevorzugt Erbsengerichte gegessen. Wir schauen uns das gleich noch ein wenig näher an.
Thor
Thor ist ein Sohn der Erdgöttin Jörd und des Asengottes Odin. Es heisst, die friedliche Erde hätte diesen ungebärdigen, kraftstrotzenden Sohn nicht bändigen können - weshalb er bei den Pflegeeltern Wingnir (der Bschwingte) und Hlora (Glut) aufwuchs. Die Mythenforscherin Vera Zingsem beschreibt ihn als erdnah und von gewaltier Kraft, als ungestüm und mit einem Appetit ausgestattet, dass er für die allseits bekannte Figur des "Obelix" hätte Modell stehen können. Eine bezeichnende Geschichte aus dem Mythenschatz rund um Thor ist jene, in welcher er, als es einmal an Essen mangelt, kurzerhand seine zwei (Stein-)Böcke Zahnkracher und Zahnknirscher schlachtet. Er befiehlt allen, die Knochen sorgfältig auf die ausgebreiteten Felle zu werfen und keinen zu zerbrechen. Am nächsten Morgen beschlägt er Knochen und Felle mit seinem Hammer, und sogleich erstehen die beiden Böcke zu neuem Leben auf (vgl. Vera Zingsem, Freya, Iduna & Thor. Vom Charme der germanischen Göttermythen, Tübingen 2010).
Die Besonderheit der Schmiede
Es ist eine Geschichte, der wir in zahlreichen Varianten in den verschiedensten Kulturkreisen immer wieder begegnen. Sie drückt eine ausgesprochene Nähe zwischen dem Handwerk des Schmiedes und jenes des Schamanen aus. Auch archäologische Funde legen die Vermutung nahe, dass ein Schmied zu gewissen Zeiten auch als Schamane galt. Das hat sowohl mit dem Hammer zu tun, der für Fruchtbarkeit steht, als auch mit dem Element der Wandlung an sich. Jemand, der Metalle schmelzen und in eine andere Form bringen kann, geniesst in einer Zeit, in der der Umgang mit Metallen noch neu ist, hohes Ansehen. Es ist ein geradezu magisches Können und ein Wissen, in das letztlich nur wenige eingeweiht sind. So wie der Schmied jemand ist, der in die Geheimnisse der Metallurgie und der Wandlung eingeweiht ist, so ist ein Schamane oder eine Schamanin eine Person, die ein magisches Wissen um die kosmischen Kräfte von Leben und Tod besitzt und auch die Kräfte der Wandlung kennt. Wenn Thor im mythologischen Bild vermittels seines Hammers die beiden Böcke vom Zustand des Todes in den Zustand des Lebens überführt, fliessen schamanisches Tun und Schmiedehandwerk zusammen.
Der Wettergott
Donar, der Donnerer, wird er genannt. Thor ist zweifellos auch ein Wettergott, der Blitz und Donner bringt, warme befruchtende Gewitterregen, die das Saatkorn aufkeimen lassen, und der im Frühling die Welt mit seinem Hammer von Eis und Schnee befreit. Damit gilt er auch als Gott der Fruchtbarkeit. Thors Hammer ist denn auch von ganz besonderer Magie. Er kehrt nicht nur wie ein Bumerang stets zu jenem zurück, der ihn geworfen hat und vermag aus totem Gebein neues Leben zu erwecken, Donner, Blitz und Gewitter zu erwirken, sondern er wird auch, solange Thor ihn gerade nicht braucht, so klein, dass er ihn bequem in seiner Tasche verstauen kann. Die Sexualmetapher ist unverkennbar - spätestens in dem Mythenbild, in welchem der Braut zur Weihung der Ehe besagter Hammer in den Schoss gelegt wird (Thors Brautwerbung).
Hinweise auf Thor im Märchen
So weit so gut. Aber was hat das jetzt genau mit dem Märchen "Des Teufels Erbsmuus" zu tun? Dass es sich bei Schmied und Teufel um zwei Figuren handelt, die beide auf den Gott Donar zurück gehen, erkennen wir an verschiedenen Attributen. Es beginnt schon damit, dass der Bauer (Schmied) in Begleitung des ärgsten Schneegestöbers in Erscheinung tritt. Für eine Figur, die auf einen Wettergott zurück geht, durchaus angemessen. Auch der Auftritt des Teufels wird von Sturm begleitet. Weiter kommen die Attribute des Zauberkästchens und der Schmiedekunst hinzu und nicht zuletzt die Magie der Erbsen, die hier zwar sehr an den christianisierten Rahmen angepasst erscheint, aber immer noch deutlich die Sprache jener Zeit spricht, in welcher Erbsen eine besondere Wirkung zugedacht wurde.
Die Magie der Erbsen
Das Brauchtum rund um die Erbsen war sehr reich. Wie der Gott selbst, dem sie geweiht sind, stehen sie allem voran für Fruchtbarkeit. Am Christabend soll man sie unter den Weizen mischen und in den Stall werfen damit das Vieh gut gedeiht. Rochholz verweist auf den Brauch, dass der "Hochzeitsbär" (vgl. das Brauchtum rund um den Maibär =>) als Fruchtbarkeitsträger in Erbstroh eingehüllt und an einer Kette aus Erbsen vom hammertragenden Ortsschmied herumgeführt werden musste. Am Johannistag kochte man Erbsen am Johannisfeuer und brauchte sie als Salbe gegen Verletzungen. Von den Bräuchen hat sich nicht viel gehalten, doch weiss ich, dass es in der Kantine der ABB (die ABB ist aus der Fusion der schwedischen Asea und der schweizerischen BBC entstanden und steht dadurch auch unter nordeuropäischen Einflüssen) noch in heutiger Zeit jeweils donnerstags bevorzugt Erbsspeisen gibt. Was die Erbse für unsere Vorfahren so besonders machte, kann ich nur vermuten: Sicher spielt ihre auffallend grüne Farbe eine Rolle. Grün ist die Farbe der Vegetation und in diesem Sinne auch der Fruchtbarkeit. Es ist eine genügsame Pflanze, die wenig Ansprüche an den Boden stellt und etwas vom Ersten, was sich im Gemüsegarten ernten lässt. Darüber hinaus ist sie in einer Welt ohne (Industrie-)Zucker angenehm süss.
Transformationen
Dass Figuren aus vorchristlicher Zeit im Zuge der Christianisierung in einen guten und einen schlechten Teil aufgespalten und dann gegeneinander ausgespielt werden, sehen wir immer wieder. Hier wurder Thor in die positiv besetzte Figur des Schmiedes und in die karikierte Figur des Teufels aufgeteilt. Was mir denn auch erklärt, warum ich beim Erzählen so viel Kraft aufwenden muss, um die innere Spannung dieser Geschichte halten zu können: Hier prallen zwei Wettergötter aufeinander, die vergessen haben, dass sie eins sind! Es gibt Märchen, die ich für meine eigene Erzählfassung ein wenig restauriere, um das innere Sinngefüge hervorzuheben. In diesem Märchen ist die Transformation einfach zu umfassend, als dass ich sie einfach rückgängig machen könnte. Die ganze Geschichte lebt ja erst von der Dynamik, die durch die beiden Widersacher entsteht. Von seinem Charakter her hat es allerdings viel von einem Schwankmärchen - und gerade darin gleicht es den Mythen rund um Thor doch sehr. Ganz anders als zum Beispiel die griechischen, sind die nordischen Myhten insgesamt voller Komik und dem Schwankhafen oft erstaunlich nah.
Schmied und Teufel
Schauen wir uns das Märchen mit diesem Hintergrundswissen noch einmal an. Zu Beginn steht der Schmied schwächer da als der Teufel. Doch gelingt es ihm im Verlaufe der Geschichte, ihn zu überwinden und schliesslich die Situation umzukehren, so dass der Teufel schwächer ist. Den Schmied finden wir auf der weltlichen Seite. Er tritt gleich als erstes in Erscheinung - begleitet vom "ärgsten Schneegestöber". Gezwungen von seiner Not geht er mit dem Teufel einen Handel ein. Auch der Teufel tritt in Begleitung von Sturm in Erscheinung. Doch noch bevor sie überhaupt in die Hölle kommen, wo der Schmied dem Teufel dienen soll, gelingt es diesem, den Teufel zu überlisten - und zwar in seiner Eigenschaft als Schmied. Er verspricht, dem Teufel ein neues Hufeisen aufzumachen und schraubt ihn bei dieser Gelegenheit fest. Der Teufel ist mit besonderen magischen Kräften ausgestattet - das gehört zu seinem Naturell. In dieser Situation nützen ihm diese aber nicht. Der Schmied verfügt ebenfalls über besondere Kräfte, wie wir gesehen haben, und deshalb kann er den Teufel austricksen. Anstatt sechs Jahren braucht er ihm nun nur für drei Jahre zu dienen, so der neue Handel.
Das Wunschkästchen
Aus praktischen Gründen überlässt der Teufel dem Schmied während seiner Abwesenheit einen magischen Gegenstand und weiht ihn zugleich in den Umgang damit ein: Er zeigt ihm das Wunschkästchen und wie es zu benützen ist. Damit geht etwas von den magischen Kräften des Teufels über auf den Schmied. Nur an zwei Stellen im ganzen Märchen finden wir die Reimform: Beide Male haben wir es mit Zaubersprüchen zu tun, die ein magisches Geschehen lenken. Hier wird für Speis und Trank gesorgt, die nach Bedarf scheinbar aus dem Nichts erscheinen. Nach der Rückkehr des Teufels will der Schmied noch einmal nach Hause, um ein Taschentuch zu holen, damit er sich besser vor dem Rauch in der Hölle schützen kann. Der Teufel begleitet ihn und wünscht sich beim Schmied zu Hause - ausgerechnet - ein Erbsmuus.
Die weisse Erbse platzt auf
Die Erbsen haben eine besondere Kraft - hier im christlichen Kontext sind sie besonders geweiht. Es gelingt dem Schmied seine Frau dazu anzuhalten, auch von diesen besonders geweihten Erbsen mit in das Erbsmuus hineinzugeben. Die weisse Erbse platzt auf und malträtiert den Teufel so sehr, dass der Schmied jetzt seine Bedingungen stellen und den Teufel bannen kann. Er verlangt, aus dem Packt, den er mit dem Teufel geschlossen hatte, auszutreten, er verlangt das Wunschkästchen zu erhalten und stellt die Forderung, dass sich der Teufel von ihm und seiner Familie fern halten möge. Diesmal ist es der Teufel, der von der Not dazu gedrängt wird, einzuwilligen. Durch den zweiten Zauberspruch im Märchen hält der Schmied die Erbsen an, mit ihrem Stechen wieder aufzuhören. Jetzt befinden sich alle magischen Attribute im Besitz des Schmiedes. Nebst der Schmiede verfügt er jetzt auch über das Zauberkästchen und kennt sich darüber hinaus mit der wirkmächtigen Magie der Erbsen aus. Dem Teufel bleibt nichts anderes, als das Weite zu suchen.
Einander ebenbürtig
Natürlich hat es etwas geradezu schizophrenes, wenn zwei Seiten ein- und derselben Figur, so arg gegeneinander angehen. Trotzdem drängt sich mir in erster Linie das Bild einer Waage auf. Zunächst ist sie zu Ungunsten des Schmiedes in Schieflage. Am Ende der Geschichte zu Ungunsten des Teufels. Trotzdem gibt es einen kleinen Moment, in welchem sich diese Waage in Balance befindet, in denen sich die beiden genau ebenbürtig sind. Und vielleicht kommt es ja genau darauf an.
Märchen - des Teufels Erbsmuus