2. Februar: Von Lichtsprung und Narrentreiben
von dorastochter
Heute grüsst das Murmeltier
Wissen Sie schon, als was Sie zur Fasnacht gehen – oder bleiben Sie dem Narrentreiben lieber fern? Wie auch immer: Spätestens Anfang Februar sind die letzten Restchen Weihnachtsstimmung verschwunden und Murmeltiere und Bären strecken vorsichtig ihre Nasen aus den Höhlen und prüfen, ob es schon langsam Zeit wird für das grosse Frühlingserwachen. Etwas Neues macht sich breit – und ja, da: Da singt ja auch schon der erste Vogel!
Schrittchen für Schrittchen kehrt das Licht jetzt zurück:
"Zu Stephanie a Muckngahn,
zu Neujahr a Hahnentritt
zu Heilig Drei König a Hirschensprung
und zu Maria Lichtmess a ganze Stund."
Frisches Licht und glitzernder Schnee
Diese alte Bauernregel bringt es recht gut auf den Punkt – wo nach der Sonnwende das Anwachsen des Lichts zu Neujahr gerade eben mal einen Hahnenschritt umfasst, so ist es zu Lichtmess bereits eine ganze Stunde. Und mit einem Satz scheint die Welt verrückt zu spielen. Aber warum? Oft ist es noch klirrend kalt – und das frische Licht trifft auf eine glitzernde Schneedecke unter einem wunderbar weissblauen Himmel. Richtiges Postkartenwetter. Und doch liegt schon ein wenig Frühling in der Luft. Jetzt, Anfang Februar treiben die Lebenskräfte neu aus. Von jetzt an strebt alles, was auf dem Weg nach innen war, wieder nach aussen. Wer einmal eine Spirale "abgewandert" ist, kennt es: Wir bewegen uns immer tiefer in die Spirale hinein bis zum Wendepunkt, dort drehen wir um und folgen dem Lauf der Spirale wieder nach aussen. Zwar liegt dieser Wendepunkt des Jahres auf der WinterSonnwende, wirklich spüren können wir die Veränderung aber erst Anfang Februar, wenn sich die Wirkung daraus bereits etwas entfalten konnte. Von jetzt an können wir es sehen, wie die Sonne wieder höher und höher in den Himmel steigt, von jetzt an können wir es spüren, wie ihre Kraft wieder wächst – und da alles Leben auf ihr Licht und ihre Wärme reagiert, streben Pflanzen, Tiere und Menschen wieder einem neuen Wachsen entgegen. Es ist Hoch-Winter und eine ganze Vegetation macht sich bereit für ein neues Jahr – auch wenn wir es oft noch kaum sehen können.
Den Winter austreiben
Das Alte passt nicht mehr und wie eigentlich soll das Neue werden? Wir ahnen es bereits, und doch ist es noch nicht wirklich greifbar. Was in wenigen Monaten bereits konkrete Formen angenommen haben wird, bewegt sich jetzt noch auf der Ebene von Ahnung und Traum. Nennen wir diese Ebene einfach mal "Traumzeit". Wenn wir es zulassen, können wir uns jetzt auf genau diese Ebene ver-rücken – und ganz ohne im herkömmlichen Sinn verrückt zu sein, wahr-sagen: Jene Wahrheit, die hinter den Dingen liegt und die mehr der Intuition als dem Verstand zugänglich ist. "Kinder und Narren sagen die Wahrheit" heisst es im Volksmund – merken Sie was? Und ja, da sind sie ja auch schon, die Narren mit ihren Glöckchen und Reiben, die Wilden Männer, die wandelnden Bäume, die Tschämeler, Nüssler, Giggeler, Harlekins und wie sie alle heissen. Jetzt wird das Unterste nach oben gekehrt und das Oberste nach unten, alles durcheinander gewirbelt, die Karten neu gemischt.
Aus Alt mach Neu!
Wenn wir dieses bunte Treiben mal ein bisschen genauer unter die Lupe nehmen, so zeigen sich hauptsächlich drei Themenbereiche, die wir alle wunderschön in dieser "Traumzeit" des Jahres verorten können. Das Wort "Fasnacht" (Fasching) stammt vom mittelhochdeutschen "vaselen", welches "fruchten, gedeihen" bedeutet.1 Und natürlich geht es jetzt ganz wesentlich darum, der Fruchtbarkeit tüchtig auf die Sprünge zu helfen. Je wilder und lärmender das Fasnachtstreiben ausfällt, umso fruchtbarer soll das Jahr werden. Und nicht umsonst spielen beim Fasching sexuelle Freizügigkeit und Bräuche mit erotischer Konnotation eine zentrale Rolle. Tja, von nichts kommt nichts! Damit aber das Neue bald so richtig gut durchgreifen kann, muss erst einmal das Alte weichen – und hier finden wir einen weiteren Themenbereich der Fasnacht: Aus Alt mach Neu! Die Winterkräfte werden krachend ins Off gespielt, die Altweibermühlen haben Hochbetrieb, bald muss auch schon der Böögg dran glauben. Es ist eine Zeit der Reinigung. Beim Liestaler Chienbäse-Umzug2 werden gar ganze Scheiterhaufen durch die Stadt gezogen, mit turmhohen Flammen, vor deren Hitze sich die schauende Menge immer wieder schützend duckt. Wer an diesem Spektakel teilgenommen hat mag hinterher vielleicht schwarz sein von Russ, aber garantiert rein von winterlichen Altlasten.
ver-rücken und wahr-sagen
Und während nun die einen mit grünen Ruten, Kinderwagen und was sich sonst noch dafür eignet, die Kräfte der Fruchtbarkeit beschwören, und andere mit Lärm, Rauch und Geschrei die Wintergeister vertreiben, rüttelt eine weitere Narren-Fraktion an der guten alten Ordnung und posaunt lautstark und gereimt heraus, was das Jahr über so alles schief gelaufen ist, nicht mehr passt oder aus anderen Gründen eine kleine Rüge wert zu sein scheint. Es mag schon sein, dass nach der Fasnacht wieder alles beim "Alten" bleibt in den Ratshäusern dieser Welt. Aber immerhin daran gerüttelt wurde – und wer weiss, ob dieses "Wahrsagen" und Rütteln nicht doch etwas ver-rückt?
Ein Bärenfest zu Lichtmess
In den Pyrenäen wird zu Lichtmess am 2. Februar ein Bärenfest abgehalten, welches «Bal de Matrimoni» genannt wird. Hier zeigt das Brauchtum sehr schön, was uns auch in manchen Märchen begegnet: die Heirat von Bär und Frau. Da der Bär sich im Gleichlauf des Jahres bewegt, über den Sommer zunimmt, im Winter in der Höhle verschwindet und im Frühling sozusagen wieder aufersteht, repräsentiert er in vielen Kulturen immer wieder auch das Vegetationsjahr. Vielerorts gilt er als Herr der Wälder und gar nicht so selten wird er als eine Art Mensch in Tiergestalt gesehen. Beim Fest in den Pyrenäen stehen die Figuren Bär, seine Braut Rosetta und der Brautführer besonders im Vordergrund. In besagtem Kultspiel nun erlebt der Bär zunächst seine Wiedergeburt, auf welche eine rituelle Jagd und ein symbolischer Kampf um die Frühlingsgöttin Rosetta folgt. Der Bär gewinnt natürlich und entführt die schöne Rosetta, um mit ihr Hochzeit zu halten.3 Später dann wird er getötet – aber wir wissen ja, dass er im nächsten Jahr wiederkehrt. Ob es sich bei der Namensähnlichkeit der Bärenbräute Rosetta und Rosenrot um Zufall handelt?
Schneeweisschen und Rosenrot
"Die Mädchen waren fortgesprungen, aber der Bär rief ihnen nach: 'Schneeweisschen und Rosenrot, fürchtet euch nicht, wartet, ich will mit euch gehen.' Da erkannten sie seine Stimme und blieben stehen, und als der Bär bei ihnen war, fiel plötzlich die Bärenhaut ab, und er stand da als ein schöner Mann, und war ganz in Gold gekleidet. […] Schneeweisschen ward mit ihm vermählt und Rosenrot mit seinem Bruder, und sie teilten die grossen Schätze miteinander, die der Zwerg in seiner Höhle zusammengetragen hatte. Die alte Mutter lebte noch lange Jahre ruhig und glücklich bei ihren Kindern. Die zwei Rosenbäumchen aber nahm sie mit, und sie standen vor ihrem Fenster und tugen jedes Jahr die schönsten Rosen, weiss und rot." 4
Ob da wohl ein Licht unter der Bärenhaut hervor springt?
Das Grimm’sche Märchen "Schneeweisschen und Rosenrot" zeigt doch einige Auffälligkeiten. Nicht nur wachsen im Garten der alten Mutter zwei Rosenbäumchen, die zu den Mädchen in einer Totem-Beziehung stehen – das mit den weissen Rosen zu Schneeweisschen, das mit den roten zu Rosenrot. Wir finden hier in gewisser Weise auch die Jahreszeiten repräsentiert. Wir können die Mutter als Winteralte verstehen, Schneeweisschen als Frühlings- und Rosenrot als Sommerkraft. Der Bär, der bei der Frauenfamilie überwintert, reisst sich eines Tages die Haut auf, und es ist zu sehen, wie unter der Bärenhaut Gold hervorschimmert. Und das just zum Ende des Winters hin. Ob da wohl gerade ein Licht hervorspringt? Mythologisch jedenfalls ist der Bär so eng mit dem Lauf der Sonne verbandelt wie mit dem Lauf der Vegetation. Als "Fruchtbarkeitsdämon" ist es nur natürlich, dass er die Schönste von allen begehrt: die Frühlingsgöttin. Und so erstaunt es auch nicht, dass er im Fasnachtsbrauchtum immer mal wieder anzutreffen ist, der gute alte Bär. Im Märchen jedenfalls läuten die Glocken bereits zur nächsten Bärenhochzeit.5
Literatur
1 Ursula Seghezzi, Macht – Geschichte – Sinn, Van Eck Verlag 2011,
S. 19
2 Weitere Informationen unter: www.chienbaese.ch
3 Vgl. Kurt Derungs, Baumzauber, Edition Amalia 2008, S. 145 f.
4 Schneeweisschen und Rosenrot, Brüder Grimm, KHM 161
5 Vgl. dazu Andrea Dechant, Das Fest der beginnenden Frühlingskraft, Online-Publikation, Wien 2013, S. 12 f.